Interview mit Mirko Schedlbauer, CEO shipzero GmbH

09.10.2024

Nachhaltigkeit gewinnt in der Logistik zunehmend an Bedeutung. Wie Unternehmen ihre Logistik nachhaltiger gestalten können, welche Faktoren entscheidend sind und welche Rolle eine Emissionsdatenplattform dabei spielt, erklärt Mirko Schedlbauer, CEO von shipzero, im Interview.

Redaktion: Wie passen Nachhaltigkeit und Logistik zusammen?

Mirko Schedlbauer: Die Logistik macht über zehn Prozent des globalen gesamtökologischen Fußabdrucks aus. Sie ist zudem eine der wenigen Branchen, in der die Emissionen steigen. Die Logistik muss daher dringend etwas tun, um Emissionen zu reduzieren. Aber was darüber hinaus oft nicht bedacht wird: Auch Dekarbonisierungsmaßnahmen lösen logistische Prozesse aus. Beispielsweise müssen Bauteile für energieeffizientere Fabriken zunächst geliefert werden, und bei Technologien wie Direct Air Capture müssen die entstehenden Abfallstoffe abtransportiert werden, bevor der erzielte Effekt wirklich nachhaltig ist.

Redaktion: Unternehmen sind beispielsweise durch die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) verpflichtet, ihre CO2-Emissionen zu erfassen und reduzieren. Warum könnte diese Nachweispflicht für Unternehmen eine Herausforderung darstellen?

Mirko Schedlbauer: Den meisten Unternehmen fällt es schwer sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, da diese Nachweispflichten sehr weit weg von ihrem Kerngeschäft sind. Logistiker sind hier ein gutes Beispiel: Sie haben ihre Routenplanung oft schon so gut optimiert, dass sie kaum noch Effizienzsteigerungen in diesem Bereich erreichen können. Jedoch ist die datenbasierte Emissionserfassung ein komplett neues Themenfeld für sie. Denn in der Regel haben sie noch kein System implementiert, das Daten für nachhaltige Prozesse erfasst – das muss entsprechend noch erst etabliert werden.

Redaktion: Erhöhen solche Nachweispflichten und Reporting-Auflagen einfach nur den bürokratischen Aufwand für Unternehmen, oder bewirken sie auch echte nachhaltige Veränderungen?

Mirko Schedlbauer: Solche Auflagen sorgen zunächst einmal dafür, den Fokus auf nachhaltige Themen zu lenken. Man muss sich also zwangsweise mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Die Logistik ist ein schönes Beispiel: In diesem Wirtschaftsbereich sind die gesamtgesellschaftlichen Kosten, also beispielsweise die Veränderung des Klimas und deren Auswirkungen, nicht eingepreist. Als Unternehmen muss ich meinen Diesel kaufen, um meine Fahrzeugflotte im Betrieb zu halten. Die Folgeschäden sind nicht inklusive. Das ist am Ende eine Art von Marktversagen, das rein mit Angebot und Nachfrage im Hier und Jetzt nicht gelöst wird. Zudem ist das Thema Nachhaltigkeit so langfristig angelegt, dass die meisten Unternehmen und Lobbygruppen es nicht angehen. Daher braucht es ein Eingreifen des Regulators. Allerdings sollte das natürlich möglichst unbürokratisch passieren.

Redaktion: Um den Nachweispflichten gerecht zu werden, spielt die Digitalisierung, insbesondere die Erfassung von Daten, eine unerlässliche Rolle. Wie funktioniert eine Emissionsdatenplattform genau?

Mirko Schedlbauer: Es gibt die unterschiedlichsten Arten von Emissionsdatenplattformen. Diese sollten komplett automatisiert funktionieren, das bedeutet: Die Daten sollten automatisiert fließen, es sollte eine automatisierte Qualitätskontrolle stattfinden und die Quellsysteme sollten so angebunden sein, dass der Kunde nichts mehr manuell tun muss. Ursprünglich wurde im Bereich der Nachhaltigkeit viel mit Fragebögen gearbeitet. Dies ist aber nicht zielführend, da es für ernsthafte und umfassende Nachhaltigkeitsbemühungen einen Datenaustausch über Unternehmensgrenzen hinweg braucht. Das ermöglicht wiederrum eine unabhängige dritte Partei, damit auch wirklich nur die benötigten Daten ausgetauscht werden. Ein Logistikunternehmen arbeitet in der Regel ja nicht nur für einen einzigen Kunden und dazu mit zahlreichen Dienstleistern zusammen. Deswegen muss genau geschaut werden, mit wem welche Daten geteilt werden, um die regulatorischen Anforderungen und aber auch die Wünschen der Kunden erfüllen zu können.

Redaktion: Welche Daten erfasst shipzero – und wie kommt shipzero an diese Daten?

Mirko Schedlbauer: Wir erfassen zum einen die Sendungsdaten, sprich: Was ging in welcher Menge von wo nach wo? Zum anderen verarbeiten wir die Telematikdaten, die unter anderem den Verbrauch eines LKW umfassen. Diese beiden Datentöpfe führen wir dann algorithmisch zusammen, sodass wir schließlich den tatsächlichen Verbrauch auf der Ebene einzelner Sendungen ausweisen. Zusätzlich lassen sich zahlreiche weitere Datenquellen einbinden, wie zum Beispiel Stammdaten von Kraftstofftypen.

Redaktion: Welche Maßnahmen lassen sich aus den erfassten Daten ableiten, um die Dekarbonisierung eines Unternehmens voranzutreiben? Können Sie dazu Beispiele nennen?

Mirko Schedlbauer: Potenzielle Maßnahmen gibt es viele. Es gibt aber nicht die „eine Maßnahme“, die man umsetzen kann, damit ein Unternehmen oder eine ganze Branche nachhaltig wird. In der Chemieindustrie, in der viel mit Gefahrstoffen gearbeitet wird, ist das Thema Elektrifizierung beispielsweise noch wenig relevant, da dort elektrisch betriebene Fahrzeuge nicht zugelassen sind. Dafür funktioniert Elektrifizierung in anderen Branchen, die beispielsweise das Thema Last Mile bedienen, sehr gut. Das Geschäftsmodell des Unternehmens spielt entsprechend einer wesentlichen Rolle und muss bei der Dekarbonisierungsstrategie berücksichtigt werden. Es ist wichtig, dem Kunden zu ermöglichen, grüne Produkte zu entwickeln, die auf einer belastbaren Datengrundlage basieren. Das Unternehmen muss schließlich nachweisen können, wie es Emissionen reduziert hat, um das grüne Produkt erfolgreich an Endkunden verkaufen zu können. Und das ermöglicht dem Unternehmen wiederum, seine eigene Reduzierung zu monetarisieren. Dies ist ein guter Weg, die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit zusammenzubringen.

Redaktion: Wie lange dauert es etwa, bis sich bei einem Logistikunternehmen die ersten messbaren Erfolge durch konkrete Dekarbonisierungmaßnahmen bemerkbar machen? Und lässt sich pauschal sagen, welche solcher Maßnahmen besonders großen Erfolg versprechen?

Mirko Schedlbauer: Das kann man aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Maßnahmen und der speziellen, individuellen Unternehmensstrukturen nicht pauschal sagen. Was wir zurzeit aber mit Spannung verfolgen, sind alternative Kraftstoffe, da deren Einsatz eine direkte, konkret messbare Reduzierung von Emissionen nach sich ziehen kann. Sie lassen sich zudem bestenfalls schneller und einfacher von Unternehmen implementieren, indem sie ihre vorhandene Infrastruktur auf die neuen Kraftstoffe umstellen.

Redaktion: Glauben Sie, dass es noch lange dauern wird, bis nachhaltiges Wirtschaften als selbstverständlich gilt?

Mirko Schedlbauer: Ich glaube schon. Wenn man auf die Anfänge des Nachhaltigkeitskonzept aus den 70er Jahren zurückblickt und sich anschaut, was in diesen über 50 Jahren an nachhaltigem Wirtschaften umgesetzt wurde, ist es noch ein langer Weg. Andererseits wird immer offensichtlicher, dass es schwerwiegende Folgen haben wird, wenn wir nicht jetzt anfangen nachhaltiger zu arbeiten. Wenn wir es schaffen, durch die Digitalisierung und neue Technologien den Fortschritt in Richtung einer CO2-neutralen Industrie für jedermann transparent zu machen, und wir durch zusätzliche Anreizsysteme, wie zum Beispiel einer gut gestalteten - also auf dem tatsächlichen Verbrauch spezifischer Kraftstoffe basierenden –  CO2-Maut Anreize, für Unternehmen zu schaffen, bin ich mir sicher, dass wir das Ziel einer langfristig nachhaltigeren Logistik-Welt erreichen können.

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