Interview mit Sarah Schütz, Sachbearbeitung Administration Logistikunterstützung im Referat Logistik in der THW-Leitung
Die humanitären Krisen auf der Welt nehmen stetig zu. Dies haben wir zum Anlass genommen, um das Thema humanitäre Logistik näher zu betrachten. Wir haben mit Sarah Schulz, Sachbearbeiterin Administration Logistikunterstützung im Referat Logistik in der Technischen Hilfswerk-Leitung, über die Organisation eines Hilfsgütertransports in die Ukraine gesprochen und erfahren, welche Schwierigkeiten dabei auftreten können.
Redaktion: Guten Tag Frau Schütz, vielen Dank, dass Sie sich einen Moment Zeit für unser Interview genommen haben. Können Sie uns zunächst einen Überblick über die Rolle des Technischen Hilfswerks in der humanitären Logistik geben?
Sarah Schütz: Grundsätzlich verhält es sich so, dass das THW als Bundesanstalt die Interessen der Bundesrepublik Deutschland vertritt und umsetzt. Das ist auch im Bereich der humanitären Hilfe und der damit zusammenhängenden Logistik der Fall. Dort, wo es gewünscht wird, setzt sich das THW dafür ein.
Jedoch hat Logistik ja nicht nur etwas mit Transporten zu tun. Das THW führt auch Ausbildungen im Bereich der Logistik und an verschiedenen Geräten durch, betreut unterschiedliche langfristige Projekte und betreibt Materialwartung sowie die Einlagerung von Gütern für den Notfall. Zudem ist es dem THW möglich, Einsatzeinheiten mit dem nötigen Material schnell an die Orte zu bringen, wo sie besonders gebraucht werden. Neben all diesen Kompetenzen, die das THW bietet, werden auch Hilfsgüterlieferungen in viele verschiedene Länder organisiert und koordiniert.
Zudem fungiert das THW im Rahmen von Einsätzen im Ausland auch als Lagerhalter im Einsatzland und kümmert sich zusätzlich um die Lieferung bis zum Endempfänger (Beneficiary). Außerdem ist das THW ein Teil des Logistics Cluster der Vereinten Nationen und unterstützt dort die Koordinierung im Bereich der humanitären Logistik.
Redaktion: Wie ist das THW in die Hilfsgüterlieferungen für die Ukraine eingebunden?
Sarah Schütz: Die Bundesrepublik Deutschland definiert, was geliefert werden soll. Diese Güter werden dann THW-intern in Zusammenarbeit mit dem Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern gekauft. Im Anschluss daran finden die Organisation und Koordinierung des Transportes in die Ukraine statt. Der Transport kann über verschiedene Wege organisiert werden, unter anderem auch in Zusammenarbeit mit der EU über das Europäische Katastrophenschutzgemeinschaftsverfahren (EUCPM).
Redaktion: Über welchen Umfang sprechen wir in diesem speziellen Fall bislang?
Sarah Schütz: Seit Februar 2022 unterstützt das THW die Ukraine durch die Bereitstellung von Ausstattung und der Lieferung dieser. Es sind um die 240 Transporte, die bereits für die Ukraine durchgeführt wurden. Dabei wurden mehr als 130 Millionen Euro umgesetzt. In diesem Zusammenhang arbeiten wir mit dem ukrainischen Zivil- und Katastrophenschutz, dem Grenzschutz sowie weiteren verschiedenen Ministerien, wie zum Beispiel dem Energieministerium, zusammen. Die Lieferungen durch die beauftragten Speditionen erfolgen dabei auch direkt in die Oblasten, die sehr stark von dem Kriegsgeschehen betroffen sind. Die Oblasten kann man mit unseren Bundesländern vergleichen. Zurzeit liegt der Fokus darauf, die Menschen in den am stärksten betroffenen Gebieten zu unterstützen. Dementsprechend erfolgen die Transporte auch in die Regionen um Charkiv, Zaporizhzhia sowie nach Mykolaiv oder Odessa.
Redaktion: Welche Maßnahmen ergreift das THW bei der Planung und Koordination von Hilfsgüterlieferungen für die Ukraine?
Sarah Schütz: Durch den ständigen Austausch mit unseren Partnern in der Ukraine erfolgt eine Konkretisierung des Bedarfs. Es wird entschieden, was genau benötigt wird und wo die Prioritäten liegen. Im Anschluss daran kommt es zu einer Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt (AA) und dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) sowie mit der Deutschen Botschaft in Kyjiw über die einzelnen Lieferungen. Auch koordinieren wir unsere Lieferungen dann auf der Ebene der EU.
Redaktion: Welche Hilfsgüter werden dort besonders dringend benötigt?
Sarah Schütz: Die Art der Hilfsgüter, die in der Ukraine benötigt und die dorthin geliefert werden, sind breit gefächert. Im Bereich der Energie werden leistungsstarke Stromgeneratoren geliefert, damit die Regionen, deren Energieversorgung nicht mehr vorhanden oder geschwächt ist, versorgt werden können. So wurden zum Beispiel bereits mehr als 1300 Stromgeneratoren, 280 Fahrzeuge wie große LKW Kipper, Feuerwehrdrehleitern oder Spezialfahrzeuge geliefert. Aber auch mehr als 100 Heizgeräte, Trinkwasseranlagen, CBRN-Schutzausrüstung, Feuerwehrbekleidung oder Baumaschinen wie Kettenbagger, Baggerlader oder Radlader wurden in die Ukraine transportiert. Das gelieferte Material soll den betroffenen Menschen vor Ort direkt helfen.
Redaktion: Wie arbeiten Sie mit anderen nationalen und internationalen Organisationen zusammen, um die Hilfe effizient zu gestalten?
Sarah Schütz: Das THW arbeitet viel mit dem Gemeinsamen Melde- und Lagezentrum (GMLZ) zusammen, das zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gehört. Über das GMLZ werden zum Beispiel Mautbefreiungen für Eigentransporte durch ehrenamtliche THW-Kräfte beantragt. Zudem ist das GMLZ der Single Point of Contact zwischen dem THW und dem Emergency Response Coordination Centre (ERCC) der EU.
Da das THW auch Zolldokumente für die Hilfsgütertransporte benötigt, ist die gute Zusammenarbeit mit der Generalzolldirektion ebenso essenziell.
Außerdem ist für das THW die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern sehr wichtig. Es wird ein international koordinierter Ansatz verfolgt. Somit arbeitet das THW bezüglich der Hilfsgütertransporte in die Ukraine auch mit polnischen Ansprechpartnern zusammen.
Redaktion: Welche spezifischen logistischen Herausforderungen haben Sie bei den Hilfsgüterlieferungen für die Ukraine festgestellt?
Sarah Schütz: Bei den Hilfsgüterlieferungen in die Ukraine kommt es vor, dass wir Gefahrgut transportieren. Dabei ist die logistische Herausforderung, alle Dokumente beisammen zu haben, damit es nicht zu Schwierigkeiten während des Transports kommt. In diesem Fall ist ein genaues Arbeiten wichtig.
Auch gibt es Schwertransporte, bei denen Güter mit Überbreiten- oder längen transportiert werden müssen.
Zudem ergeben sich Situationen, in denen Hilfsgüter in sehr kurzer Zeit in die Ukraine müssen, wodurch ein schnelles, effizientes, aber dennoch genaues Arbeiten erforderlich ist.
Redaktion: Wie gehen Sie mit diesen Herausforderungen um, insbesondere in Bezug auf Transportwege und Sicherheitsrisiken?
Sarah Schütz: Essenziell ist bei diesen Herausforderungen eine gute Koordination mit unseren Rahmenvertragspartnern, die die Hilfsgüter in die Ukraine liefern. Zudem hilft die Koordinierung über die EU, insbesondere im Zusammenhang mit dem ERCC dabei, in solchen Situationen lösungsorientiert zu arbeiten. Hier wurden viele Erfahrungen bei Hilfsgütertransporten in Krisenlagen gesammelt, die auch bei den Lieferungen in die Ukraine hilfreich sind. Des Weiteren werden viele Abstimmungen bezüglich des Abwägens von Sicherheitsrisiken mit dem Logistics Cluster der Vereinten Nationen getroffen.
Zudem werden nach Abwägung der Sicherheitsrisiken, die Güter zurzeit außerhalb der Ukraine übergeben, wenn das THW Eigentransporte mit ehrenamtlichen Helfer:innen organisiert.
Redaktion: Können Sie uns einige Erfolgsgeschichten oder Beispiele für besonders gelungene Hilfseinsätze in der Ukraine schildern?
Sarah Schütz: Auf den Erfahrungen des THW und unseren internationalen Einsätzen aufbauend, wurde ein sogenannter Bautrupp zusammengestellt. Dieser ermöglicht es kleinen Gemeinden, mit den Folgen der Zerstörung durch den Krieg umzugehen. Die Bautrupps bestehen aus einem kleinen LKW mit Anhänger, einem Minibagger, Werkzeugen und weiteren kleineren Bestandteilen. Diese werden mit großem Erfolg in den stark betroffenen Regionen eingesetzt.
In diesem Zusammenhang lassen sich zum Beispiel die Auswirkungen des Bruchs des Kachowka-Staudamms im Jahre 2023 nennen. Innerhalb von drei Tagen konnte das THW Hilfsgüter in die Ukraine liefern, um den Menschen vor Ort zu helfen und staatliche Stellen bei der Bewältigung der Folgen des Dammbruches zu unterstützen. Die Hilfsgüter bestanden aus Zelten, Decken, Betten und weiteren Shelter-Items sowie aus Baumaschinen zur Beseitigung der Trümmer.
Als weiteres Beispiel kann die Energieversorgung im Winter 2023/24 genannt werden. Es erfolgte eine enge Absprache mit den ukrainischen Ministerien, wodurch Lieferungen von mehreren Stromgeneratoren ermöglicht wurden. Diese konnten den Betrieb von Krankenhäusern, Heizkraftwerken aber auch von Großbäckereien sichern.